Das Wiener Künstlerhaus

Die Geschichte des Wiener Künstlerhauses

Gschnasfeste
 


 

Einen besonders wichtigen Teil des gesellschaftlichen Lebens der Wiener Künstlerschaft bildeten die großen Gschnasfeste, die meist im Februar stattfanden. Bis 1871 wurden sie gewissermaßen einige Wochen später wiederholt: als Maifahrten ins Freie, zum Kahlenberg.

Neben den Gschnasbällen gab es im Künstlerhaus zahlreiche weitere Damen- und Herrenabende und auch Theateraufführungen. Mitwirkende waren unter der Leitung professioneller Schauspieler, meist aus dem Burgtheater, Mitglieder der Genossenschaft mit ihren Familienangehörigen. Das förderte natürlich auch weitere private Beziehungen untereinander.
 
 


 

Die Dekorationen und Kostüme waren sehr aufwendig, naturalistisch, und nicht selten sogar echt. Man versetzte sich für eine Nacht in die Vergangenheit; in die Antike, das Mittelalter oder die Zeit Rembrandts und Rubens. Erst gegen Ende des Jahrhunderts hat man sich auch der Zukunft zugewandt, wie in der "Weltausstellung in hundert Jahren" u. ä. Bei diesen Festen ging es sicher sehr lustig und gemütlich zu; trotzdem kam Frivolität oder offene Erotik nicht auf. 
 

 

Die Kataloge bezogen sich oft auf eine tatsächlich vorhandene Gschnasgalerie, die nicht nur die großen Ereignisse der vergangenen Saison parodierte, sondern eine Satire des täglichen Lebens überhaupt war. Nach dem Fest wurden die Objekte versteigert, was eine zusätzliche "Einnahme für die Genossenschaft bedeutete. Die Bilanz aller Feste war höchst aktiv. In späteren Jahren konnte auch das Publikum gegen Eintritt die Gschnasräume besichtigen, am 23. 2. 1901 tat dies sogar der Kaiser.
 
 

 

 

» Walpurgisnacht«, 1924

Ein dämmriger riesiger Saal, von verwirrendem Treiben erfüllt. Paare in bunten Gewändern, eng aneinandergeschmiegt, schieben sich, soweit das Ge-dränge es erlaubt, langsam weiter, den Tanzrhythmen des Ballorchesters ge-horchend, das von einer Estrade im Hintergrund in das fröhliche Inferno hinunterfiedelt, bläst, trommelt und tutet. Aber es ist nur ungenau zu ver-nehmen, denn obwohl niemand laut spricht oder gar schreit, übertönt das Schwirren der vielen Stimmen jeden andern Laut. Höllengeister, wie Hiero-nymus Bosch sie nicht unheimlicher erfinden könnte, gluren von den Wänden in das taumelnde Treiben, andere hängen mit griffbereiten Krallen von der Decke, untermischt mit auf Besen reitenden Hexen, scheußlichen Drachen, Schlangen, die gierig den Rachen aufsperren und die gespaltene Zunge blecken.

Halb erschreckt, halb schmunzelnd flüchtet man in den Nachbarraum und kommt eben zurecht, zu sehen, wie ein bildhübsches rothaariges Hexlein von blutrot vermummten Henkersknechten zu einem in der Ecke aufgetürmten Scheiterhaufen gezerrt wird. Sie wehrt sich nicht allzu sehr, denn sie weiß, am Ende wird das Ganze doch nur auf eine Küsserei hinauslaufen - und schließlich ist ja Fasching! Und wenn es zu frei werden sollte - nun, dann flüchtet man eben in den sicheren Port der Damengarderobe und frischt das derangierte Make-up wieder auf.

In einer andern Ecke hockt weniger niedliches Hexengesindel um einen Kessel und mischt an einem Zaubertrank, während ein bebrillter Zauberer, einem höllischen Nikolo ähnelnd, seinen Zauberstab schwingt, zugleich aus einem Folianten geheimnisvolle Worte herauslesend, die täuschend an das berühmte tschechische »triatricet  strbrnych krepelek« erinnern. Kaum er-späht, wird man »mit Bronchialgewalt«, wie eine der Hexen sagt - Fremd-wörter scheinen beim Zaubergesindel Glückssache zu sein - an den Kessel geschleppt und gezwungen, eine Kelle voll zu leeren - und siehe, es ist eine sehr bekömmliche Bowle. 

Da keine zweite Kelle folgt, befreit man sich und entweicht in dem Augenblick, wo, ganz nach Goethe, ein bleiches Gretchen-schemen mit dem obligaten roten Strich um den Hals - es ist schon das dritte, das man gesehen hat - sich heran schiebt und von dem Hexenzeug sogleich näher gelockt wird. Aber man kann nicht zusehen, was aus ihr wird, denn im nächsten Augenblick ist man selbst von einer Schar Irrlichter um-ringt, die, in ihren Gazegewändern gelblich, bläulich, rötlich flimmernd, um den Beobachter einen wilden Tanz aufführen und ihm bis zur Tür des näch-sten Saales folgen, wo ihr Bannkreis endet.

Im neuen Saale, in roten Flammen erstrahlend, bereitet sich ein Schauspiel vor, zu dem man eben zurechtkommt: die Inthronisation des Herrn und Meisters vom Blocksberg mit seinem Gefolge von Unirdischen, Gespenstern, Larven, Teufeln und all dem wirren Zeug, das zu einem richtigen Satan ge-hört. Satan? Aber wenn man näher hinsieht, erkennt man, dass es der große Pan ist, mit Panisken und Faunen, mit Nymphen und Dryaden, der große Pan, der für diese Nacht auferstanden ist, um das Fest mit seinen Jüngern zu feiern. Mit Höllenlärm wird er auf den feuerroten Thron gesetzt, dann hebt man ein zappelndes Mädchen zu ihm hinauf. Erst auf seinem Schoß kommt es zur Ruhe und beginnt ihm lächelnd seinen Zottelbart zu krauen.

Auf dem Weg zum nächsten Saal kommt man an einer halbdunklen Ecke vorbei, in der es merkwürdig still ist. Wer aber geglaubt hat, dass man hier in den Bereich der höllischen Liebe vorstößt, sieht bald, dass er sich getäuscht hat. Nein, von Liebe ist keine Rede, es ist die Hölle der feinen Leute, die traurigste von allen. Die einzige Konzession, die sie dem Blocksbergtreiben machen, sind die Rubinhalsbänder um den schönen Nacken der Damen, die scharlachenen Frackaufschläge und gleichfalls scharlachroten Krawatten der Herren. Von Sektkübeln umringt, von Kellnern umschwirrt, sitzen sie mit ge-frorenem Lächeln da, aber sie unterhalten sich nicht ein Zehntel oder, um in ihrer Sprache zu reden, nicht zehn Prozent so gut wie die übrigen Gäste, und die Sektgläser vor ihnen bleiben halb gefüllt, wenn nicht der alte Stürzer, als Weingeist verkleidet, heranschleicht und sie mit einem Limonadenröhr-chen leersaugt.

Im folgenden Saal findet man endlich, was man suchte. Längs der Wände laufen Polsterbänke, und auf diesen sitzen die gesuchten Pärchen, so dicht gedrängt, dass die Hüften der Einzelnen nebst den anschließenden Körper-partien die der Nachbarn beinahe berühren. Aber es stört niemanden, denn die hier zu zweit Vereinten sehen nichts und hören nichts, sie halten einander an den Händen, flüstern eins in den Busen des andern heimliche Liebesworte oder versenken den schwimmenden Blick in den des andern und sind allen Welten entrückt außer der der Liebe.

Irgendwo quäkt, klimpert, rasselt eine Jazzband, aber man will auch einmal zu sich kommen, stiehlt sich - nicht ohne Mühe - aus dem bunten Gewim-mel und steigt, ein Kenner des Labyrinths, zu dem sich das Künstlerhaus an diesem Abend verwandelt hat, ins »G'mütliche«, das sich im Keller drun-ten aufgetan hat. Hier findet man die Weisen, die Längerdienenden der Gschnasfeste, die den Rummel schon kennen, die Pappnase von sich getan haben und das Fest bei einem Viertel Heurigen auf ihre Weise genießen. Man setzt sich zu ihnen, genehmigt sich gleichfalls ein Viertel, hört den »g'scheit« Redenden zu und versucht ebenso zu antworten; aber man hat nicht die überlegene Sesshaftigkeit dieser Gschnasyogi und eilt bald wieder hinauf, um sich neuerlich in den holden Wahnsinn des Treibens zu stürzen.

 

 

 

Beiträge von Hans Wulz zur Gestaltung von Gschnasfesten im Wiener Künstlerhaus
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